TUG 2015 – Tag 2

Ein weiterer Tag der TUG 2015 Konferenz, ein weiterer Bericht. Siehe auch die vorigen Beiträge zu den früheren Tagen.

Pavneet Arora begann die erste Vortragsreihe mit einer Präsentation überabout FLUSS, einen Überwachungssystem für den Wasserfluss zur Erkennun möglicher Lecks an Leitungen. Ich war neugierig, was das denn mit TeX zu tun haben soll. Der Arbeitstitel “FLUSS” ist eine Abkürzung. Sie steht für “Flow leaks unearthed ss”, wobei ss hier 2 x sigma bedeutet. Das letzter bezieht sich auf doppelten Sigma-Test.

Tatsächlich hatte das nichts mit Drucken oder Typographie zu tun. Jedoch arbeitet es mit TeX. Pavneet Arora setzt TeX ein als einen Teil der Software-Stacks von “embedded systems”, integrierten Computern. Er verwendet TeX als ausgeklügeltes Backend für Dokumentation und Reporting, in diesem Fall also nicht für Veröffentlichungen. Man spricht ja gern vom “Internet der Dinge”, wenn Geräte wie Kühlschrank, Waschmaschine, Heizung uvm. vernetzt werden – er verwendet das “TeX der Dinge” zur Wasser-Leck-Erkennung. Warum ist das Ziel so wichtig? Wie bei Feuer, kann Wasserschaden begrenzt werden, wenn man das Problem frühzeitig erkennt und so zeitig reagiert. Man hatt ja zuhause auch keine Feuerdetektoren, die erst anschlagen, wenn es lichterloh brennt, sondern Rauch-Detektoren, die schon in der Entstehung warnen. Pavneet Arora konzentrierte sich auf die Wasserversorgung statt auf mögliche Bruchstellen und Lecks über die ganze Strecke des Wasserversorgungswegs und Hausnetzes. Seine Anwendung überwacht den Wasserfluss an der Quelle, also etwa nahe dem zentralen Wasserzähler. Das Tool lernt Muster des Wasserverbrauchs über die Zeit und generiert Berichte mit Grafiken via ConTeXt. Mit Muster-Erkennung oder blossem Auge kann man so schon ungewöhnliche Abweichungen erkennen. Die Hardware basiert auf einem Raspberry Pi. Darauf läuft ein Paket von Software, von Programmiersprachen wie Python bis hin zu TeX. Bemerkenswert ist, das hob er hervor, dass TeX der einfachste Teil war. Die Installation lief einfach richtig durch. Das ist ein Zeichen seines Erwachsenseins und seines zuverlässigen Paketierens durch die Distributionen. Wir sahen ConTeXt-generierte Diagramme und wie man darin ein Wasserleck bemerken kann. Ds Thema ist wichtig für Versicherungsgesellschaften, also auch ein tatsächliches Geschäftsfeld. Damit hat uns Pavneet Arora eine interessante und unerwartete Anwendung von TeX in der Industrie gezeigt.

In der nächsten Präsentation sprach Tom Hejda über das Erstellen von LaTeX Dokument-Klassen und Templates für die Tschechische Technische Universität Prag (CTU).

Er sprach über die Unterschiede beim Gestalten und Programmieren von Klassen für universitäte Abschlussarbeiten im Vergleich zu Journal-Artikel. Ich bleibe mal bei der internationalen Bezeichnung Journal für eine Fachzeitschrift. Tom Hejda bezog sich auf den Blickpunkt des Anwenders, fasste einige Fakten zusammen und gab Beispiele. Er begann mit der jeweils typischen Anwendung.

Die Vorgehensweisen sind unterschiedlich:

  • Journal-Artikel: der Autor schreibt, es wird von Journal-Seite gegengelesen, dann liefert der Autor seine finale Version, die korrekturgelesen wird und für den Druck gesetzt wird.
  • Abschlussarbeit: der Student schreibt, ein Betreuer kommentiert, der Student liefert die finale druckreife Version ab.

Ein Journal hat seinen Stil für ein festes Erscheinungsbild, es entscheidet über die verwendbaren Pakete. Das Journal hat die volle Kontrolle. Im Gegensatz dazu hat man bei einer Abschlussarbeit die Universität oft sehr strikte Vorgaben, jedoch entscheidet der Student, wie er sie mit TeX (oder anders) umsetzt.

Artikel und Abschlussarbeiten unterscheiden sich gewöhnlich in der Gliederungstiefe, bei den verwendeten Paketen sowie in Breite un Vielzahl der behandelten Themen. Ein Fachjournal ist in der Regel eng fokussiert.

Tom Hejda verglich Beispiele:

  • actapoly, eine Klasse für Artikel im Acta Polytechnical Journal, die in einer Mischung aus TeX- und LaTeX2e-Code geschrieben wurde.
  • ctuthesis, für Abschlussarbeiten an der CTU, soweit wie möglich in LaTeX3 geschrieben, mit einem umfangreichen key=value Interface.

Er diskutierte Unterschiede in den Ansätzen beider.

Boris Veytsman hielt den nächsten Vortrag. Er präsentierte ein neues Paket für mehrere Bibliographien im selben Dokument.

Eine Literaturverzeichnis kann mehr sein als eine technische Liste verwendeten Materials. Es kann die Situation in einem Fachbereich repräsentieren. Zusätzlich zu einer alphabetischen Auflistung kann eine chronologische Liste Entwicklung Fortschritt im Fachbereich zeigen.

Vor zwei Jahren hat Boris Veytsman das multibibliography-Paket vorgestellt. Damit konnte man schon im selben Dokument mehrere Listen erzeugen, die nach Namen, nach Auftreten als Zitat im Text, sowie nach Erscheinungsdatum sortiert werden. Jeder Zitierbefehl produziert Einträge für alle drei Listen.

Das multibibliography-Paket hat einige Einschränkungen. So unterstützte es nur einige feste BibTeX-Stile. Und dafür muss Perl installiert sein, was gerade unter Windows Extra-Arbeit erfordert. Boris Veytsman hat das Paket überarbeitet, die neue Version heißt nmib. Es liefert immer noch ein Aussehen wie mit multibibliography: man erhält drei Listen mit hyperref-Links. Doch nmbib ist jetzt kompatibel zum natbib-Paket und unterstützt dessen Kommandos. Man kann jeden natbib-Stil für alphabetische oder sequentielle Literaturverzeichnisse verwenden. Man benötigt Perl nicht mehr. Statt ein Perl-Skript zu verwenden, wird BibTeX dreimal durchlaufen zum Erzeugen der drei Reihenfolgen.

nmbib ist wesentlich flexibler als multibibliography, da alle natbib-Anpassungen verwendet werden können und Zitierstile modifiziert werden können. Das neue Paket wurde auch mit Blick auf Einsatz in elektronischen Büchern entwickelt.

Leila Akhamadeeva kam zu Boris Veytsman hinzu für die anschließende Präsentation über dreisprachige Templates für eine Lehr-Einrichtung in Bashkortostan, Russland. Das ist tatsächlich eine Herausforderung, auch weil das bashkirische Kyrillisch anders als das russische Kyrillisch aussieht. Ein formales Dokument ist an sich schön schwierig für einen Stil-Designer, doch ein konsistenter dreisprachiger Stil ist noch schwieriger. TeX ist ein sehr gutes Werkzeug für solche Aufgaben. Übrigens wurde Paratype für konsistente Schriften verwendet.

Paul Gessler folgte mit einem Vortrag über das Zeichnen von Git commit history Graphen. Git ist ein populäres Versionskontrollsystem. Basierend auf dem gitinfo2-Paket, schrieb Paul Gessler ein experimentelles Paket namens gittree, das solche Graphen für die Anwendung in LaTeX erzeugt. Es arbeitet auf der Basis von pgf/TikZ und bietet ein komfortables Interface. Er zeigte Gebrauch und kreativen Missbrauch, wie etwa ein Git-Projekt MetroGit, in dem jeder commit eine Metro-Station darstellt und jeder branch eine Metro-Linie, ein merge ist eine Verbindung zwischen den Linien. Zusammen produziert das eine Karte der Metro-Stationen von Paris. Paul Gessler wird seinen Code gegen Ende des Sommers auf github bereitstellen. Er plant die Veröffentlichung auf CTAN für den Beginn des Jahres 2016.

Steve Peter vollzog dann seine letzte Aufgabe als scheidender Vorsitzender. Er stellte den neuen TUG President vor: Kaveh Bazargan.

Kaveh Bazargan sagte, es sei ihm eine Ehre, in dieser Weise hoffentlich zu dieser großartigen Gemeinschaft beitragen zu können. Er arbeitet mit TeX seit 1983, sein erstes TUG-Treffen war 1986 in Strassburg. Er sagte, TeX verdiene weit mehr Sichtbarkeit. Er hofft, die alten Freunde bleiben weiter bei uns und es kommen aber auch wieder mehr Neue dazu. Seine Worte waren, es gibt unheimlich viel, was TeX kann, wo andere Technologie noch nicht mitkommt. Doch andere Anwendungen holen schon gut auf. Er dankte für die Stimmen in der Wahl und kündigte an, dass er danach mit den Leuten sprechen werde, die anders gestimmt haben. Mit einem Augenzwinkern.

Der neue TUG-Vorstand sammelte sich daraufhin vorn. Zeit für eine Frage-und-Antwort-Sitzung!

Ein erster Vorschlag war die Gründung eines “accessibility teams”. Also einer Arbeitsgruppe, die sich z.B. um Unterstützung für Sehbehinderte kümmert. Klaus Hoeppner sagte, wir können unsere Kräfte mit anderen Einrichtungen vereinen, die bereits an Tools für Blinde arbeiten. Eine Vielzahl von Leuten arbeitet bereis an tagged PDF, die Teams sollten zusammengebracht werden, verschiedene Gruppen könnten einander treffen.

Es wurde bemerkt und bestätigt, dass wir mehr aufzeigen sollten, wie genau TeX verwendet wird in Lehre, Arbeit und Industrie. Doch wo soll man das zeigen? Auf TUG-Treffen sind wir unter uns. Die TUG-Webseite wird ja sicher nur von TeX-Anwendern besucht, nicht von Leuten, die es erst zu werben willt. Immerhin gibt es dort die TeX-Showcase-Seite.

Mein stiller Gedanke war, ich könnte die TeXample-Galerie erweitern, eine getaggte und kategorisierte Galerie, ursprünglich von Kjell Magne Fauske gebaut. Sie ist zur Zeit auf TikZ fokussiert, doch das lässt sich ja auf TeX im Allgemeinen erweitern. Es gibt ausgeklügelte Skripts für automatisierte Abläufe wie Übersetzen, zu Ordnern und Datenbanken hinzufügen, Taggen, sowie generieren von Ausgaben in PNG und JPG via ghostscript für die Galerie-Ansicht sowie die Icon-Vorschau.

Frank Mittelbach betont zum Thema TeX vorzeigen und Anwender gewinnen, dass wir weiter den Einstieg an Universitäten fördern sollten, daraus entwickeln sich auch bleibende Anwender. Einige Meinungen gingen weiter: wir sollten die frühzeitige Anwendung von TeX fördern, etwa schon in der Schule. Ein häufiger Einstiegspunkt ist, wenn Studenten mit dem Schreiben ihrer Abschlussarbeit beginnen. Doch zu dieser Zeit haben sie Word und andere Tools schon seit 10 Jahren verwendet. Warum jetzt noch wechseln? TeX kommt einfach spät ins Spiel. Wer geht schon von Word weg, wenn es ausreicht und er oder sie es schon 6 oder 10 Jahre benutzt.

Bezüglich Verlagen und TeX: wenige Verlage setzen TeX ein – die waren alle im Raum vertreten. So wie River Valley Technologies und VTeX. Viele Verlage lehnen TeX ab, auch weil immer noch altes Zeug kursiert. Mehr und mehr Anwendungen holen auf. 95 Prozent der Dateien, die Autoren einsenden, liegen in Word vor, daher hat die Industrie längst clevere Tools rund um Word herum entwickelt, teure Tools zum Arbeiten mit Word, beispielsweise die Referenzen herauszuziehen zur Weiterverrbeitung. Der Industriestandard ist nunmal Verarbeiten von Word, Punkt. TeX ist in der Minderheit. Doch ist es eine große Industrie, die man erreichen könnte, wenn man wüsste wie.

Wir sollten deutlich kommunizieren, dass die TeX-Distribution aktiv gepflegt wird, und man sich weiterhin auf die Unterstützung für die Software verlassen kann. Das ist ein wichtiges Entscheidungsmerkmal. Und sonst, wieviele Leute gehen denn auch andere Konferenzen, um dort zu erzählen, dass TeX gut ist? Nicht so viele. Ok, andere Anwendergruppen anderer Software sind ja auch oft ziemlich unter sich.

Boris Veytsman begann eine weitere Diskussion. Was würden wir denn alle denken, wohin es für TeX in der Zukunft geht. Und insbesondere, was aus uns, der TUG wird. Früher gab es wichtige Gründe, eine Anwendergruppe zu sein, für Bereitstellen von Software-Medien und Support beispielsweise. Wir unterstützten direkt die Anwender ohne das heutige Internet. Doch nun? Wir haben einen sehr guten Job gemacht wie beispielsweise mit leicht zu installierenden Distributionen und Updates über CTAN und Online-Support gibt es auch außerhalb der TUG. Ein Anwender braucht gar nicht mehr Mitglied der TUG zu sein, um alle Möglichkeiten von Software bis Support zu haben. Welcher Grund ist übrig, um Mitglied zu werden? Dank und Sponsoring, was noch? Viele Mitglieder sind aus Sympathie dabei. Wir sollten eine aktuelle klare Daseinsberechtigung haben, und einen Weg finden, Anwender zu überzeugen, Mitglied zu werden. Es war eine offene Diskussion mit vielen Beiträgen. Warum brauchen wir uns? Wie können wir der übrigen Welt zeigen, dass wir relevant sind? Sollten wir eine neue Identität finden? Warum ist eine User Group nötig? Vielleicht überspitzte Fragen, doch daran kann man konstruktiv diskutieren.

Obwohl Millionen Anwender sich auf TeX verlassen und es für sie wie ein Uhrwerk läuft, kann es schon einfach brechen. Wir haben großartige Teams, doch die sind klein. Im CTAN-Team sind 4 Leute, das LaTeX-Team besteht aus 5 Leuten. Wenn mal jemand krank wird, kann das echt aufhalten. Es kommen kaum neue Leute hinzu. Es geht nicht nur um Mitglieder und Finanzen – ein sehr wichtiges Thema ist, Leute zu bewegen, beizutragen, insbesondere zu Entwicklern zu werden. Wir haben einen ersthaften Mangel an Entwickler. So sind User Groups nötig, um Leute hierzu zu aktivieren.

Das war eine erste konstruktive Diskussion, und es ist schon gut, solche Punkte aufzubringen. Fragen aufwerfen, um Antworten zu finden. Doch man kann sicher sein, die Leute hier sind in positiver und großartiger Stimmung.

Am Nachmittag gab es einen Ausflug zur Grube Messel, einem UNESCO Welterbe wegen der Vielzahl von Fossilienfunden dort. Am Abend trafen wir uns im Herrengarten und redeten bis etwa 1 Uhr in der Nacht.

Das war viel aufzuschreiben, ich werde bald über den dritten Tag berichten.

23. Juli 2015 von Stefan Kottwitz
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